Begrenzt verfügbarer Wohnraum in Städten sowie das Bedürfnis nach flexiblen und kurzfristigen Angeboten haben den Immobilienmarkt innerhalb der letzten Jahre vor neue Herausforderungen gestellt. Dieser hat darauf mit unterschiedlichen Lösungen reagiert. Über die rechtliche Einordnung dieser Lösungen, insbesondere bezüglich der Mietpreisbremse und der Gesetzesinitiative zu möbliertem Wohnraum und Kurzzeitmieten, haben wir bereits einen Überblick gegeben (siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 5. Mai 2023 „Student Housing, Mikro- und Serviced Apartments: Ausnahmen von der Mietpreisbremse?“ und das Update hierzu vom 18. Juli 2023 ).
Unter diese neuen Angebote fallen unter anderem sogenannte „Serviced Apartments“, die in der baurechtlichen Rechtsprechung häufig auch als „Boardinghouses“ bezeichnet werden. Boardinghouses sind nach der Definition des Deutschen Tourismusverbands (DTV) Beherbergungsbetriebe in städtischer Umgebung, in denen die Unterbringung für längere Zeit erfolgt und der Service von sehr geringem Angebot bis hin zu einem hotelmäßigen Roomservice reicht. Die rechtliche Einordnung dieser Konzepte ist bis jetzt weitgehend unbestimmt und stark einzelfallabhängig. Dies kann insbesondere für Projektentwickler und Investoren zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, da es weder einen gesetzlichen noch einen durch die Rechtsprechung festgelegten einheitlichen Beurteilungsmaßstab dafür gibt, wie „Boardinghouses“ bauplanungsrechtlich einzuordnen sind.
1. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Beherbergung und Wohnen
Die Baunutzungsverordnung (BauNVO), die bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens zu beachten ist, sieht verschiedene Arten von Baugebieten vor, die im Bebauungsplan festgesetzt werden können. Dabei ist je nach Gebietstyp entweder ein Wohnen oder die Unterhaltung eines Beherbergungsgewerbes im jeweiligen Gebiet zulässig, nicht zulässig oder nur ausnahmsweise zulässig. Dies ist deshalb vor dem Hintergrund der „Boardinghouses“ problematisch, weil sie je nach Einzelfall als Beherbergungsgewerbe oder als Wohnnutzung einzuordnen sind. Bei der Errichtung oder der Nutzungsänderung[1] eines Gebäudes innerhalb eines Gebiets, das die Wohnnutzung zulässt, aber die Beherbergung ausschließt, stellt sich daher die Frage, ob „Boardinghouses“ als Wohnnutzung oder als Beherbergung zu qualifizieren sind. So ist die Wohnnutzung in reinen Wohngebieten (§ 3 BauNVO) und allgemeinen Wohngebieten (§ 4 BauNVO) ohne Weiteres zulässig, während Beherbergungsbetriebe dort nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Diese Problematik stellt sich ebenso in Gebieten, die die Beherbergung zulassen und das Wohnen nur ausnahmsweise oder gar nicht. Ein solcher Fall liegt insbesondere bei Gewerbegebieten (§ 8 BauNVO) und Industriegebieten (§ 9 BauNVO) vor.
2. Das Konzept der „Boardinghouses“
„Boardinghouse“ kann als Oberbegriff für verschiedene Ausprägungen moderner Nutzungskonzepte in Form von Serviced Apartements verstanden werden. Diese Konzepte zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf ein „Wohnen auf Zeit“ ausgerichtet sind. Um eine reine Hotelnutzung per se handelt es sich dabei aber nicht, da die jeweiligen Nutzungskonzepte auf längere Zeit als bei einer typischen Hotelnutzung ausgelegt sind und eine gewisse eigene Häuslichkeit vorsehen, die sie durch eigene Koch-, Wasch- und/oder Aufbewahrungsmöglichkeiten herstellen. Darüber hinaus bieten diese Konzepte zusätzliche Dienstleistungen, deren Bandbreite erheblich auseinanderfallen kann. So beschränken sich die zusätzlichen Services teilweise auf die Möblierung der Räume und die Möglichkeit einer Kurzzeitmiete, während sie in anderen Fällen über Wäsche-, Reinigungs-, oder Conciergeservices bis hin zu Fitnessangeboten oder gemeinsamen Speise- und Aufenthaltsräumen reichen können.
In dieser Bandbreite der Nutzungskonzepte liegt auch die Problematik, die sich bei der rechtlichen Einordnung der „Boardinghouses“ stellt. Dadurch, dass es sich nicht um einheitliche Nutzungskonzepte handelt, ist die Einordnung eines „Boardinghouse“ im bauplanungsrechtlichen Sinne eine Frage des Einzelfalls.
3. Kriterien zur Einordnung des konkreten Nutzungskonzepts
Die Rechtsprechung sieht seit jeher den Begriff der Wohnnutzung dann als erfüllt an, wenn eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit vorliegt, die durch die Möglichkeit einer eigenständigen Haushaltsführung und unabhängiger Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises gekennzeichnet ist.
Demgegenüber umfasst der Begriff des Beherbergungsbetriebs alle gewerblichen Betriebe, die Räume unterschiedlicher Art und Größe zum Teil mit zusätzlichen Aufenthaltsräumen für jedermann ohne Erfüllung besonderer Voraussetzungen für einen vorübergehenden Aufenthalt anbieten. Dabei sieht die Rechtsprechung auch das Angebot darüberhinausgehender Services als Kennzeichen von Beherbergungsbetrieben an.
„Boardinghouses“ stellen dabei eine Übergangsform zwischen reiner Wohnnutzung und Beherbergung dar, denn sie enthalten Elemente beider Nutzungsarten, so dass eine trennscharfe Differenzierung zwischen den verschiedenen Nutzungsarten allein durch die Anwendung der genannten Begriffsbestimmungen nicht erfolgen kann. Die Zuordnung zu einer Nutzungsart wird daher im Einzelfall vorgenommen, indem im Wege einer Abwägung ermittelt wird, welche Nutzungsform den Schwerpunkt bildet. Die Rechtsprechung stellt dabei vorrangig auf das vorzulegende Nutzungskonzept des Betreibers ab, wobei sich der sich aus diesem ergebende Nutzungszweck jedenfalls innerhalb des objektiv Möglichen halten muss. Dabei kommen der räumlichen Struktur der Gesamtanlage und den sich dadurch bietenden Nutzungsmöglichkeiten besonderes Gewicht zu.
Beinhaltet eine Anlage räumlich typische Servicebereiche wie gemeinsame Aufenthalts- oder Speiseräume oder Räumlichkeiten für Angestellte der Anlage, während sie gleichzeitig entsprechende Services (z.B. Wäsche- oder Reinigungsservice) anbietet, dürfte tendenziell eher von einer Einordnung als Beherbergungsbetrieb auszugehen sein. Dies liegt unter anderem daran, dass die angebotenen Dienstleistungen in die selbstständige häusliche Nutzung der einzelnen Apartments hineinwirken können (z.B. der Reinigungsservice, der abbestellt werden muss, weil er sonst täglich vorgesehen ist). Anders herum dürfte das Fehlen einer entsprechenden räumlichen Planung und des Angebots von hotelähnlichen Services ein Indiz für eine schwerpunktmäßige Wohnnutzung im bauplanungsrechtlichen Sinne sein.
Auch die zeitliche Komponente ist ein maßgebliches Abgrenzungskriterium. Eine Wohnnutzung setzt eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit voraus, während Beherbergungsbetriebe nur vorübergehende Aufenthaltsmöglichkeiten bieten. Da Boardinghouses eine Nutzung auf längere Zeit anbieten, ist wesentlich, ob von einer dauerhaften Nutzung auszugehen ist, oder ob es sich lediglich um eine vorübergehende Nutzung handelt, auch wenn sie üblicherweise einen längeren Zeitraum umfasst als bei einer typischen Hotelnutzung. Zum Beispiel kann die Nutzung von Boardinghouses durch Studierende, die nur für ein Auslandssemester vor Ort sind und die Räume deshalb regelmäßig nach wenigen Monaten wieder verlassen, trotz des Aufenthalts von einigen Monaten ggf. noch als vorübergehende Nutzung angesehen werden.
Eine gewisse Indizwirkung kann auch der Preisstruktur der einzelnen Mietverträge zukommen. Preise im Hotel- und Beherbergungsgewerbe können gewissermaßen als Komplettpreise bezeichnet werden, denn sie beinhalten bereits die Nebenkosten wie Strom, Gas und Wasser sowie die zusätzlichen Services. Zudem werden sie regelmäßig pro Nacht oder Woche berechnet. Eine Preisstruktur, die mehr für eine Wohnnutzung spricht, liegt vor, wenn die genannten Nebenkosten vom Mieter selbst zu tragen sind und die Miete pro Monat entrichtet wird.
4. Fazit
Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsgewerbe ist nach wie vor mit den zur Verfügung stehenden Mitteln kaum möglich. Es kommt weiterhin auf die schwerpunktmäßige Nutzung im Einzelfall an. Es ist jedoch möglich, bereits im Vorfeld der Errichtung oder der Nutzungsänderung einer baulichen Anlage die gemäß der Rechtsprechung für die Einzelfallabwägung relevanten Kriterien zu beachten, um das Nutzungskonzept dem Gebietstyp anzupassen.
Bei geplanten „Boardinghouses“ sollte dem Bauantrag für die Errichtung (bzw. Nutzungsänderung) des Gebäudes daher im Rahmen der Betriebsbeschreibung möglichst ein detailliertes Nutzungskonzept beigefügt werden, das als Basis für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der geplanten Nutzung dient und somit für alle Beteiligten Rechtssicherheit schafft.
Unterstützung
Haben Sie zu der rechtlichen Einordnung von Boardingshouses Fragen oder können wir Sie bei der Einordnung und Planung Ihres Projekts unterstützen? Sprechen Sie uns gern an!
[1] Im Rahmen von Nutzungsänderungen ist außerdem zu beachten, dass einige Länder sogenannte Zweckentfremdungsgesetze erlassen haben, die die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen noch weiter einschränken.
Kontakt:
Dr. Jörn Kassow
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Julia Weile
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